Die Herrin der Müllspinne

Mareike Vogts ist die einzige Frau unter zwölf Kranfahrern.

Wuppertal. Wie eine riesige, sechsbeinige Spinne senkt sich der Greifer an vier Stahlseilen auf den Müllberg herab. Einen Moment lang setzt der Greifer auf, dann packt er zu. Blaue Müllsäcke zerplatzen, als die Spinnenbeine sich zusammenziehen. Eine alte Matratze wird von einer der Stahlspitzen aufgespießt - als wäre sie aus Papier. Schnell gleitet der bepackte Greifer nach oben bis kurz unter die Decke. Sekundenlang schwebt er quer durch die Halle, dann lässt er den Müllhaufen fallen. Staub wirbelt auf, als die Abfälle in einem großen, schwarzen Schlund verschwinden.

So beginnt die Müllverbrennung im Müllheizkraftwerk Wuppertal. Mareike Vogts sitzt entspannt in einem schwarzen Ledersessel. In jeder Hand hält sie einen Joystick. Ihre Hände bewegen sich nach vorne und hinten, ziehen und drücken. Mareike ist die Spinnenchefin. Sie steuert den Greifer. Die 27-Jährige hört Radio, trinkt Cappuccino und raucht, während sie arbeitet. Ihre Hände steuern den Kran wie von selbst. "Das ist wie Autofahren", sagt sie. Mareike ist die einzige Frau unter den zwölf Kranfahrern der Müllverbrennungsanlage.

Der Müllbunker, über den sie herrscht, ist so groß, dass das Brandenburger Tor bequem darin Platz fände. Die düsteren Betonwände sind fensterlos. Ganz oben, 30 Meter über dem Boden, thront Mareike hinter mannshohen Glasscheiben. Siebzig Meter entfernt sitzt ihr ein Kollege gegenüber und steuert den zweiten der beiden Kräne. Am Fuß einer der Längswände rutscht immer neuer Müll über Betonrutschen in den Bunker - angeliefert von Müllwagen, LKWs und Privatautos. Ab und zu sind Plastikgartenstühle oder Pappkartons zu erkennen, einmal landet ein kleiner Tannenbaum im Bunker.

Kaum prasselt eine Ladung Sperrmüll herein, ist der Greifer schon zur Stelle. Mühelos hebt er seine fünf Tonnen schwere Ladung bis an die Bunkerdecke. Ein paar Meter weiter lässt Mareike den Müll auf einen hohen Abfallberg fallen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen hält sie die Kippöffnungen frei: Alles, was in den Bunker rutscht, wird sofort weggeschaufelt. Dabei wird der frische Müll strikt von dem Abfall der letzten Woche getrennt. Mit dem alten Müll befeuern die beiden Kranfahrer die Öfen - gegorener Abfall brennt besser. Gegenüber von den Rutschen ist eine Betonbühne, so hoch, dass sie fast an den Kranführerstand heranreicht. In der Bühne klaffen fünf riesige Löcher: Durch diese Trichter landet der Müll in den Kesseln.

Eine Klingel ertönt, fast wie ein Schulgong, und eine kleine Schaltfläche blinkt plötzlich gelb. Das System meldet in unregelmäßigen Abständen, dass einer der Kessel gefüttert werden will. Mareike greift mit dem Kran eine Ladung Müll aus dem Haufen, runzelt die Stirn und lässt alles wieder fallen. Die Mischung muss stimmen, damit das Feuer gut brennt. Beim nächsten Versuch ist Mareike mit der Ladung zufrieden. Sie lässt sie in eines der Löcher auf der Betonbühne fallen. Mit einem leisen Scheppern verschwindet der Abfall in Richtung Kessel.

Andreas Kistenpfennig ist Mareikes Kollege von der anderen Bunkerseite. Er trägt jetzt einen weißen Papieranzug, eine Staubmaske und einen Sicherheitsgurt. Mit einer Taschenlampe klettert der 43-Jährige auf den Kran. Hoch über dem Müll spaziert er den Stahlträger entlang, als wäre es ein ebenerdiger Bürgersteig. Den Abgrund unter ihm würdigt er keines Blickes. Andreas leuchtet in jeden Winkel der Krananlage. Ein kurzes Seil sichert ihn bei seinem Routinecheck.

Sobald ihr Kollege fertig ist, klaubt Mareike die nächste Ladung auf. Die Anlage brummt monoton. "Ich mach meinen Job gern", sagt Mareike. Sie hat den Kränen Namen gegeben: Seitdem schaufeln Uschi, Paul und Reservekran Horst den Müll.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort