Multimillionär für wenige Stunden

Weil die Deutsche Bank im Mai 1962 einen Fehler machte, landete auf Frank Ohlbrechts Konto fast eine Milliarde Mark.

Wuppertal. Ein Freitag im Mai 1962: Aus dem Radio erklingen Schlager wie „Zwei kleine Italiener“ und Nana Mouskouris „Ich schau den weißen Wolken nach“. In wenigen Monaten werden die Beatles ihre erste Single aufnehmen und die Kuba-Krise die Welt in Atem halten. Für Frank Ohlbrecht beginnt dieser Freitag im Mai ’62 wie jeder andere Tag auch. Am Morgen macht sich der damals 35-Jährige wie gewohnt auf den Weg zur Arbeit. Der studierte Chemiker ist bei der Wuppertaler Firma Luhns, die unter anderem Seifen herstellt, als Betriebsleiter beschäftigt.

Am Vormittag beginnt Ohlbrecht seinen Rundgang durch die Abteilungen der Firma. In der Fettsäure-Destillation bespricht er mit Schichtführer und Vorarbeiter die Daten der letzten Nachtschicht und gibt Anweisungen für das kommende Wochenende. Plötzlich aber wird er zum Telefon gerufen. „Am Hörer war ein Mann von der Deutschen Bank aus der Filiale in Oberbarmen, wo ich mein Konto hatte. Er sagte, ich solle sofort mit meinem Sparbuch in die Filiale kommen. Es sei da ein Fehler aufgetaucht, der umgehend korrigiert werden müsse“, erzählt Ohlbrecht. Die ganze Aufregung versteht er zunächst nicht. Er könne um 16 Uhr gleich nach Feierabend kommen, erwidert er dem Bankangestellten. „Das sei zu spät, hat er mir geantwortet. Und als ich meinte, dass ich dann kurz in der Mittagspausen kommen könnte, hat er geantwortet, dass da Ganze sehr dringend sei“, erinnert sich der heute 84-Jährige. Er habe den Bankangestellten gefragt, was denn genau passiert sei. „Aber als Antwort hieß es, das könne man mir erst vor Ort mitteilen.“

Ohlbrecht macht sich also auf den Weg zur Filiale in Barmen — was er zu diesem Zeitpunkt nicht nicht weiß: Der Bank ist ein großer Fehler passiert. Aus den 131 Mark, die Ohlbrecht auf seinem Konto hatte, ist — aus Versehen— ein Millionenbetrag geworden. 999 999 869 Mark befinden sich auf dem Konto des Wuppertalers. „Also genau eine Milliarde minus meiner lumpigen 131 Mark“, erzählt Ohlbrecht.

Wie genau dieser Fehler der Bank passieren konnte, habe er entweder damals nicht verstanden oder inzwischen vergessen, so der Wuppertaler. „Ich weiß auch nicht mehr, ob ich etwas unterschreiben oder versichern musste. Jedenfalls war man in der Bank erleichtert, dass die Sache ohne Komplikationen erledigt war.“

Verständlich. Denn wäre Ohlbrecht der Millionensegen schon früher aufgefallen, hätte er sich theoretisch mit dem Geld abzusetzen können. „Nach Südamerika zum Beispiel“, wie er heute schmunzelnd sagt. In Wirklichkeit aber wäre das für ihn nie in Frage gekommen. „Ich weiß, dass die Selbstmordrate nach Millionengewinnen sehr hoch ist. Die Leute, die auf einmal so viel Geld besitzen, haben Schwierigkeiten mit der neuen Situation“, sagt Ohlbrecht. Deswegen habe er nach dem Vorfall auch nie gedacht: Ach hättest du das Geld mal einfach genommen.

Bis heute hat Ohlbrecht außer seiner Familie niemandem von dem millionenschweren Buchungsfehler erzählt — aus dem einfachen Grund, weil es ihn nicht weiter beschäftigt hat. „Ich habe der Sache keine Gedanken mehr nachgeworfen“, sagt er. Erst als er vor einigen Jahren anfing, seine Memoiren zu verfassen, habe er auch diese Geschichte aufgeschrieben, so der heute 84- Jährige.

Ob mit oder ohne Millionen — seinem Konto von damals ist Ohlbrecht indes treu geblieben. Obwohl er schon seit längerem an der Grenze zu Remscheid wohnt, kam für ihn ein Wechsel der Bank nie in Frage.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort