Panini — der Mythos (k)lebt

Ein Besuch in der Fabrik für Fußball-Romantik und Sammel-Leidenschaft in Modena.

Panini — der Mythos (k)lebt
Foto: Panini

Modena. Frank aus Bochum steht in einer Industriehalle in Modena. Es ist laut, Maschinen laufen, Menschen in blauen Kitteln verrichten ihre mechanische Arbeit. Und Frank hat Tränen der Freude in den Augen. Er steht nicht in irgendeiner Fabrik, sondern in der Werkshalle von Panini. Es war immer sein Traum, einmal hier zu sein. Frank ist Sammler, Panini ist Teil seines Lebens. Er kauft und klebt, er tauscht und archiviert. Als er seiner Frau einen Heiratsantrag machte, legte er die Liebesbotschaft in einem großen Herz auf dem Boden aus — gebildet aus Hunderten von Panini-Tüten.

Jetzt ist er zu Besuch in Modena, auf Einladung von Panini, zusammen mit zehn anderen Hard-Core-Sammlern und einer Handvoll Journalisten. Auf Paletten werden aus der Druckerei die riesigen Bögen mit 200 Bildern in 5000er-Paketen angeliefert. Hier werden sie geschnitten und gemischt, in Tüten und schließlich in Kartons verpackt. 21 Stunden laufen die Maschinen derzeit pro Tag; die gesamte Produktion für den europäischen Markt wird über das unscheinbare Gebäude am Rand der norditalienischen Stadt abgewickelt.

Allein in Deutschland sollen vor der WM in Brasilien mehr als 150 Millionen Tüten verkauft werden. Deutschland ist — neben Brasilien und Italien — einer der wichtigsten Märkte in dem 110 Länder umfassenden Panini-Netz. Die Panini Group nennt selbst keine Zahlen, vielleicht haben die Manager Angst, dass zu viele Worte über das Geschäft die spezielle Romantik des Bildersammelns beschädigen könnten. Denn 120 Euro auszugeben für 640 Bilder (plus Doppelte) von Fußballern aus 32 Nationen und sie mit Fotos der Stadien und glitzernden Wappen in ein Album zu kleben, ist, nun ja — unvernünftig und kindisch.

Genau das sei es, sagt Giorgio Aravecchia lächelnd, das sei eben der Zauber der Panini-Fußball-Bilder. „Wir verkaufen Träume — dem kleinen Jungen den Traum, dass er eines Tages ein großer Fußballer wird und selbst in einem Sammelalbum ist“, sagt der Panini-Manager, „und den Erwachsenen schenken wir eine Rückreise in die Kindheit.“ Bei Welt- und Europameisterschaften sammeln alle: Schüler und Lehrer, Bürogemeinschaften, Altherrenmannschaften, Großeltern mit Enkeln, Eltern mit Kindern.

Die Digitalisierung der Welt scheint daran nichts zu ändern. Obwohl Bilder und Videos nur einen Mausklick entfernt sind, bleibt die Faszination der Sammelbilder unberührt. Andere nutzen die digitalen Möglichkeiten für ihren Sammlertick. Im Internet sind virtuelle Tauschbörsen entstanden; Panini selbst hat eine App entwickelt, mit der man seine Sammlung verwalten kann, und natürlich darf man auch die berühmten letzten 50 Bilder zur Vervollständigung des Albums online bestellen.

Wer alte Bilder haben will, muss sich an Marcella de Marzi wenden. Sie ist in Modena verantwortlich für das Archiv, und sie macht jährlich Zehntausende glücklich. 147 Millionen Sammelbilder aus 53 Jahren Panini-Geschichte sind in riesigen, motorgetriebenen Regalwänden abgelegt, nach Album und Nummer sortiert. „Das Wichtigste ist, dass wir die Sammler zufrieden stellen“, sagt de Marzi, die von einer Million Nachbestellungen pro Jahr berichtet. Pro Bild berechnet Panini zwei Euro, mehr als drei von einem Motiv darf ein einzelner Besteller nicht ordern. Und was weg ist, ist weg — wie das Album der WM 1970, von dem kein einziges Bild mehr im Archiv ist. Kein Wunder, dass der Band, der in Deutschland gar nicht erschien, in Sammlerkreisen mehr als 2000 Euro wert ist.

Es sind natürlich Anekdoten wie diese, die den Mythos von Panini am Leben erhalten. Dass das Unternehmen seit über 20 Jahren kein Familienbetrieb mehr ist, sondern zu einer Investment-Group gehört, ändert nichts daran. Und die Legende von der Entstehung ist schön, weil sie wahr ist. 1945 machen die Brüder Giuseppe und Benito Panini im Zentrum Modenas einen Kiosk auf (der übrigens noch heute existiert), sie gründen einen Zeitungsvertrieb. 1961 haben sie die Idee ihres Lebens: Die Figurini, wie Sammelbilder in Italien heißen, sind bereits populär, es gibt sie auch vom Fußball. Doch die Panini-Brüder gehen weiter: Sie drucken Bilder aller Spieler der italienischen Serie A und verpacken sie in Tüten. Per Hand, die ganze Familie hilft, „Calciatori“ ist geboren und wird auf Anhieb ein Erfolg. Noch heute präsentiert sich die Zentrale in Modena mit dem bodenständigen Charme eines Familienbetriebs.

Wir verlassen die Fabrik für Fußballromantik. Claudia steht an einer Fifimatic. In der von Umberto Panini konstruierten Maschine werden die Einzelbilder nach altem Familienrezept gemischt. Claudia lächelt, winkt und reicht uns zum Abschied ein Glitzerwappen — das Wappen des DFB. Der Anfang ist gemacht, der Virus wirkt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort